Gier macht erfinderisch [Corruption in EU candidate countries]
Salzburger Nachrichten 22 Oct 2002
Honorar an "Onkel" für Zertifizierung, Straßen als "Geschenk", Millionen für Genehmigungen: Korruption ist nach wie vor ein Problem in den Beitrittsländern.
Korruption und Betrug zählen kurz vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen immer noch zu den substanziellen Problemen der Beitrittskandidaten. Die EU-Kommission hat in ihren heurigen Fortschrittsberichten diese Kritik an alle zehn Länder erneuert: Obgleich "die meisten Länder . . . inzwischen Strategien zur Korruptionsbekämpfung entwickelt und die hierfür zuständigen Behörden verstärkt" haben, "gibt dieser Bereich weiter Anlass zur Sorge".
Wie Korruption abläuft? Die SN erkundigten sich auf einer Rundreise auf Einladung der Wirtschaftskammer Österreich bei Unternehmern und Politikern in Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn.
LOKALAUGENSCHEIN
BEITRITTSLÄNDER
Ein Beispiel aus Warschau: Ein österreichischer Unternehmer errichtete ein Büro und ließ sich Tü-ren einbauen, die er importiert hatte. Der Bauinspektor bewunderte die Türen und stellte fest: die Zertifizierung fehle. Ohne diese müssten Türen samt Türstöcken herausgerissen und durch polnische Produkte ersetzt werden. Nach Grundkauf, Baugenehmigung und -führung konnte den Unternehmer nichts mehr schnell erschüttern. Also fragte er unverzagt: Wie und wo würden Türen zertifiziert? Der Beamte zeigt sich hilfsbereit: Sein Onkel sei Türenzertifizierer. Kosten? 1500 Euro.
Die "letzte Chance", zu Geld zu kommen
Ist das nicht empörend? Der Österreicher, der seit neun Jahren in Polen gute Geschäfte mit Umwelttechnik macht, nimmts verständnisvoll: Für Beamte der "alten Garde", also der über 50-Jährigen, sei Korruption "die letzte Chance" zu Geld zu kommen. Ihre Gehälter seien mickrig, die zu erwartenden Pensionen verschwindend.
Weiter nach Ungarn: Dort darf sich ein Bauunternehmer, der in einer Ausschreibung das günstigste Angebot gelegt hat, noch nicht des Auftrages sicher sein. Im Zwiegespräch könnte der Bürgermeister klar machen: Es fehle ein Stück Straße. Werde dies "freiwillig" gebaut und zum "Geschenk" gemacht, sei der Auftrag fix . . .
Ein anderer Fall: Ein Bürgermeister forderte vom Bauherrn nach gewonnener Ausschreibung einen "Preis" für die Baugenehmigung. Wie teuer dies kommt? Ein Manager berichtete, ein Bürgermeister wollte dafür etwa eine Million Euro, habe in harten Verhandlungen dann aber auf ein Drittel dieser Summe nachgelassen.
In der Slowakei mussten ausländische Investoren beobachten, wie ihnen für zu privatisierende Unternehmen Millionenbeträge abgeknöpft wurden, während Slowaken mit offenbar "gutem Kontakt" ähnliche Betriebe um eine symbolische Krone bekamen.
Unternehmer in Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn berichten gleichermaßen, dass Behörden mit Hilfe von Finanzspritzen "schneller arbeiten". Was ansonsten Monate dauert, geht dann in Wochen oder Tagen. Auch Polizisten seien bei kleinen Delikten oft bereit, "Preise" zu vereinbaren.
Das Kuvert mit Geld ist längst Geschichte
Während Manager aus der Bau- und Immobilienbranche von vielen Spielarten der Korruption erzählen, beteuern die Vertreter etwa von Versicherungen, noch nie mit Korruption oder Betrug in großem Stil konfrontiert worden zu sein. Und insgesamt bestätigen die meisten: Es ändert sich. Einige stellen fest, dass die Methoden "moderner" werden. "Das klassische Kuvert mit Geld ist längst Geschichte", sagt ein Bauunternehmer in Ungarn. "Es läuft subtiler", sei es über Beratungshonorare oder Marketingbeiträge, die auf Offshore-Konten zu überweisen sind. Andererseits begännen neue Gesetze zu greifen, die Justiz arbeite nicht mehr so langsam, Medien machten Skandale publik. Heuer im Frühjahr trat der Prager Bürgermeister Jan Kasl mit der Begründung zurück, er sei den vergeblichen Kampf gegen Korruption leid.
Infolge des EU-Beitritts sind weitere Linderungen zu erwarten. Bis dahin dürften die ausständigen (und besonders korruptionsanfälligen) Privatisierungen weitgehend erledigt sein. Zudem fällt im EU-Binnenmarkt der Bedarf von lokaler Zertifizierung von Importwaren weg. Die Grenzen zur Ukraine und zu Weißrussland müssen Schengenfest gemacht werden, so dass das Geschäft der Schmuggler erschwert wird. Doch das Übel von nehmefreudigen Beamten und "Nebengeschäften" bei behördlichen Genehmigungen bleibt.
Befragte Politiker leugnen die Korruption nicht, doch lassen sie die Schande nicht auf ihrem Land sitzen: In Tschechien seien in den zwei vorigen Jahren viele Gegenmaßnahmen gesetzt worden, sagt der tschechische Chefverhandler Pavel Telicka. Doch: "Sie können das nicht in zwei Jahren wegwischen." Das sei ein kontinuierlicher, langer Prozess. Und überhaupt: Er würde gerne ähnliche Korruptionsberichte wie über die Kandidatenländer auch über Italien, Belgien oder Österreich lesen.
Es lohnt sich, vor der eigenen Tür zu kehren
Beachtliche Erklärungen liefert der Präsident der Slowakischen Handelskammer, Peter Mihok: Korruption sei zweifellos ein Übel in allen Transformationswirtschaften. Doch die Kritiker aus der EU sollen nicht die Augen vor dem verschließen, was bei ihnen passiere. Immerhin seien es ausländische Firmen gewesen, die viele dieser Praktiken importiert hätten.
Anfang der 90er-Jahre habe er im Büro des Ministerpräsidenten gearbeitet und sei häufig zu vertraulichen Gesprächen ins Ausland eingeladen worden, erzählt Mihok. Typisches Angebot sei gewesen: Für ein "gutes Geschäft" werde ihm persönlich eine Beteiligung von 20 Prozent gewährt. Wurde er auch nach Österreich eingeladen? "Natürlich!" In Wien habe man "einfacher und freier sprechen können".