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Die Terror-Therapie, Soldaten, Banker, Diplomaten: Allianz gegen das Verbrechen Von Josef Joffe (c) DIE ZEIT 41/2001 Krieg gegen den Terror? Bei "Krieg" denken wir an die Todesmühlen von Flandern, an Dresden und Nagasaki, an das Gemetzel im Kursker Bogen - an Krieg bis zum Letzten. Heute gibt es solche Kriege gottlob nicht mehr - siehe zuletzt gegen Serbien, wo die Mittel begrenzt waren (keine Bodentruppen), davor gegen Irak, wo es die Ziele waren (kein Durchmarsch nach Bagdad). Die Terrorabwehr passt noch weniger in das klassische Schema. Sie ist global, aber nicht total - vor allem mehrdimensional: Banker und Kriminalisten, Zollbeamte und Cyber-Spezialisten sind so wichtig wie Stoßtrupps und Raketen. Doch wird dieses Gefecht sehr lange dauern. Viele haben sich gewundert, warum "Cowboy" Bush so besonnen reagiert, warum er nicht gleich nach dem Massenmord ein High-Tech-Feuerwerk am Hindukusch entzündet hat. Tatsächlich muss man weder Clausewitz noch Gandhi sein, um nachzuvollziehen, was im Oval Office verworfen und beschlossen worden ist. "Mit Goldstücken wirft man keine Fenster ein", lautet ein geflügeltes englisches Wort. Erst recht nicht, wenn hinter den Scheiben kein greifbarer Gegner sitzt. Krieg im klassischen Sinne heißt: Dort ist der Feind, wie ihn überwältigen? Doch gibt es heute weder ein Schlachtfeld noch eine Schlachtordnung. Der globale Terrorismus gleicht einem Krebs mit vielen unsichtbaren Herden. Es reicht nicht, nur ein Karzinom herauszuschneiden, denn was bleibt, streut. Vor allem darf der Patient nicht getötet werden. Der Patient? Das sind die Geschundenen und Unterdrückten von Afghanistan, das sind wir - unsere liberale Staats- und Wirtschaftsordnung. Im Irak gab es knapp 3000, in Serbien etwa 1000 relevante Ziele. In Afghanistan? Nichts, jedenfalls nichts von vergleichbarer Größe: keine Divisionen, keine Infrastruktur. Die letzten verlässlichen Daten stammen von 1992; heute meldet das Londoner Institut für Strategische Studien lapidar: "Die Rüstungsbestände sind unbekannt." Vermutet werden zweistellige Zahlen bei Panzern, Flugzeugen und Raketen ältlicher sowjetischer Provenienz. Dieses Gerät auszuschalten ist das geringste Problem der Allianz. Hier schlägt die "asymmetrische Kriegführung", die den Terror begünstigt hat, zugunsten der Abwehr zu Buche. Was sich bewegt, wird gesehen; was in die Zielcomputer eingespeist werden kann, wird zerstört - aus der Distanz und mit Präzision. Viel schwieriger sind die Operationen zu Lande; das weiß jeder Leutnant, der die Lehrbücher über den vorletzten, den sowjetischen Afghanistankrieg studiert hat. Auf das Remake werden sich die Amerikaner nicht einlassen. Ihre und die britischen Special Forcessind als Erste in Afghanistan eingesickert, wo sie die Ziele markierten und Landepunkte für leicht bewegliche und leicht bewaffnete Gebirgs- und Fallschirmjägertruppen vorbereiteten. Vietnam in Afghanistan, mit einer halben Million Soldaten? Diesen Tort werden sich die USA nicht ein zweites Mal antun - auch nicht der verelendeten, schuldlosen Zivilbevölkerung. Die Angst vor dem "Dritten Weltkrieg" ist deshalb unbegründet. Amerika verabschiedet sich von seiner klassischen Strategie, die zuerst im Bürgerkrieg (1861 bis 1865) aufschien und in den Weltkriegen zur Regel gerann: schiere Masse und Feuerkraft, Draufhauen bis zum Letzten. Zumindest im Weißen Haus und in der Zivilistenetage des Pentagons (die Militärs sind überall konservativ) setzt sich die Einsicht durch, dass Flächenbombardements gegen Terroristen so nützlich sind wie Presslufthämmer beim Zahnarzt. Nach dem Jahrhundert der totalen Kriege kehrt leise Clausewitz zurück: Das Prinzip heißt Politik - wiewohl unter Beimischung von Blei. Selbstmörderische Fanatiker Die Politik übernimmt den schwersten Part. Der Terror hat sich der Globalisierung bemächtigt; er lebt nicht nur von selbstmörderischen Fanatikern, sondern auch von Geld- und Kommunikationsströmen. Selbst eine primitive Truppe wie die IRA kann nicht ohne Spenden aus Bostoner Bars bestehen, auch nicht ohne Mäzene wie weiland Libyen, Iran oder die DDR. Die Stränge zu kappen ist Aufgabe der Banker und Kriminalisten, die übrigens weder hier noch in Amerika neue Gesetze brauchen. Die Gastgeber zu ernüchtern ist Aufgabe der Diplomatie. Die hatte lange versagt, weil Staaten dem heiligen Florian huldigten: Möge es bei euch brennen, aber verschone mich. Schlimmer: So manches Land, im Westen wie in Arabien, war bereit, echtes oder politisches Schutzgeld zu zahlen, damit die Flammen nicht über seine Grenzen züngelten. Und nun die historische Wende: ein überraschender Erfolg der US- wie der EU-Diplomatie. Es sind merkwürdige Genossen, die in das westliche Bett gekrochen sind - Russland und China, Iran und Ägypten, Kyrgystan und Algerien, Indien und Pakistan. Ihre Motive sind nicht edel, aber halbwegs stabil. Sie wollen sich das staatliche Geschäft nicht von Terror-Freibeutern oder deren unmenschlichen Gastgebern kaputtmachen lassen. Diese Art der Globalisierung, so die stumme Devise, hört auf, wo der sacro egoismo der Staaten beginnt. Auch wegen dieser gemeinsamen Interessen wird der Krieg eingehegt bleiben. Die Taliban haben keine Freunde mehr; sie sind umzingelt von Kommanditisten und stillen Teilhabern der Koalition. Niemand wird ihnen Stinger-Raketen liefern, die seinerzeit die sowjetischen Hubschrauber vom Himmel holten. Reichlich Hilfe aber wird die Nordallianz bekommen. Sind das wieder die falschen Freunde? Nichts kann schlimmer sein als das menschenschinderische Taliban-Regime. Ist dies auch die Geburtsstunde einer neuen Weltordnung? Nein. Diese wäre das Produkt einer neuen existenziellen Bedrohung, die langfristig eine Vielzahl von Staaten umfängt. Derlei Kraft hat der Terror nicht; sein Metier ist der spektakuläre Massenmord, der Angst und Schrecken zeugt. Die Koalition ist ein Zweckbündnis, nicht mehr und nicht weniger. Es wird gewiss nicht so lange halten wie die Nato, weshalb sich Washington, so Pentagon-Chef Rumsfeld, auf eine "variable Geometrie" einstellt. Hätte es einen anderen Weg gegeben? Instinktiv sucht der westliche Mensch nach den "Wurzeln" des Terrors. Nur droht hier ein Trugschluss: Man kann die Mittel nicht mit den Ursachen erklären; Churchill hat keinen Moment lang über den Englandhass der Nazis nachgedacht, bevor er 1940 die Abwehr des tödlichen Angriffs organisierte. Nihilisten, die den Mord zum Selbstzweck und ihr Unglück zum Freibrief machen, sind keine Patienten, die es zu therapieren, sondern Feinde, die es zu stoppen gilt. Richtig ist, dass die arabisch-islamische Welt unter Diktatur, Armut und Unrecht leidet. Aber kann der Westen den wahhabitischen Steinzeit-Islam und den irakischen Totalitarismus beseitigen, die Selbstsucht der Öl-Emire und das Machtmonopol der Mullahs? Auch wenn die Israelis sich aus jeder Siedlung zurückzögen (was sie um ihrer selbst willen tun sollten), blieben all die anderen sozialen und politischen Pathologien, die weder Amerika noch Israel zu verantworten haben. Den Dialog zwischen den Kulturen in Blut zu ersticken darf dem Terror ebenso wenig erlaubt werden wie die Aussaat von Angst und Hass in der liberalen Welt. Gerade deshalb muss der Terror entmachtet werden - damit die Gemeinheit nicht über Freiheit und Toleranz triumphiert.
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