Russland EU Kaukasus  
 
http://www.zeit.de/2008/38/01-Sarkozy?page=1  
 
In der Kaukasus-Krise tritt Nicolas Sarkozy Russland hart und besonnen entgegen. Und siehe da: Moskau lenkt ein  
 
Nicolas Sarkozy wuchs mit den Krisen. Darauf ist er stolz, kann es kaum verhehlen, beherrscht sich aber, denn Europa hat zuweilen die Neigung, in die Falle zu tappen, deren Speck das Gloriose ist. Sarkozy wollte Europa sichtbar und Frankreich sichtbar europäisch machen: So hatte er sich seine EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt. So ist es auch gekommen, nur anders als geplant. Ein buntes Bukett französischer und europäischer Initiativen war zuvor arrangiert worden, darin atlantische und südliche Blumen, praktisches Militär- und Ökogrünzeug, umsetzungsreife Ideen für einen »Immigrationspakt«. Doch dann brach erst eine mittlere innere Krise aus, die irische, gefolgt von einer großen äußeren, der kaukasischen.  
 
In dieser zweiten Krise hat Europa etwas gewagt und etwas erreicht, trotz Russlands faktischer – und völkerrechtswidriger – Territorialgewinne in Georgien. Erfolg Nummer eins: Das Europa der divergierenden 27 einigte sich auf eine gemeinsame Diplomatie gegenüber Russland.  
 
Erfolge Nummer zwei und drei: am 12. August ein blitzartig erreichter Waffenstillstand sowie der Verzicht Russlands auf den Sturz des georgischen Präsidenten; am 8. September eine mit Terminen versehene Abmachung über den Rückzug der russischen Truppen in ihre Stellungen vor dem Krieg. Diplomatische Leistungen, die eben nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Gelände wirken, dort also, wo Blut fließt.  
 
Mit Beobachtern der OSZE und der EU geht es sodann weiter, es folgt eine Sicherheitskonferenz.  
 
Der vierte Erfolg der EU ist nicht ganz so greifbar, aber darum nicht minder bedeutsam: Europa definiert sich politisch. Nicht durch ein Dokument, sondern durch die Aktion. Unverzüglich hat Europa auf einen Krieg an seinem Rand reagiert, deutliche Worte gefunden und erst einmal die Bombe entschärft. Deutliche Worte übrigens auch im eigenen Lager, was ja eine Stärke des gegenwärtigen Präsidenten ist. Sarkozy, der seine Abneigung gegen gewundene Reden gern auch körpersprachlich mitteilt, tritt international nicht viel anders auf als zu Hause. »Wollt ihr Krieg, oder was?«, heißt es dann oder: »Behaltet mal die Nerven!«.  
 
Sarkozy drückt sich einfach aus, wenn es ihm wichtig wird. Dann fasst er zum Beispiel den ganzen Sinn Europas so zusammen: Keinen Krieg! In solchen Momenten ist Europa plötzlich überhaupt nicht mehr weit weg. Bürgernähe entsteht durch klare Sprache.  
 
Schwierig bleiben die Verhältnisse ja trotzdem. Kompliziert bleibt etwa die Geometrie von Sicherheit und Recht. Nein, sie sind nicht kongruent. Unrecht produziert Unsicherheit, aber wer mit allen Mitteln das Recht durchsetzen will, setzt die Sicherheit aufs Spiel. Wie sooft geht es nicht um Ja oder Nein, sondern um das Maß. Theoretisch lässt es sich nicht definieren, nur praktisch. Was ganz im Sinne des Sarkozismus ist, dessen Methode sich mit einer Marxschen Devise beschreiben ließe: »Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.«  
 
Ein Europa, das seine Grenzen kennt, erzeugt mehr Stabilität  
 
Ginge es allein nach der Theorie, dann wäre die Ukraine vielleicht europäisch, und gerecht wäre das wohl auch. Doch die französische Außenpolitik, ebenso wie die deutsche, sieht das Land lieber als bevorzugten Nachbarn der EU denn als Mitglied. Eine Politik der verlässlichen Nachbarschaft könnte der Ukraine helfen, die innere Spaltung des Landes zu überwinden, so denkt man in Paris, eine Politik des Beitritts in EU oder Nato indes beschwöre die Gefahr einer Abspaltung herauf.  
 
Bravo, Sarko? Oder hat er bloß eine Lücke gefüllt, die ihm das mit sich selbst beschäftigte Amerika ließ? Man sollte die Außenpolitik der Vereinigten Staaten weder unter- noch überschätzen. Ihr Apparat kann jederzeit reagieren, wenn’s brennt. Leider nicht immer mit Umsicht, und diesmal eher als Störenfried, aber Washington ließ der EU den Vortritt. Aber wozu sollte es sich auch noch diesen Konflikt an den Grenzen Europas aufhalsen?  
 
Der vierte Erfolg der EU ist nicht ganz so greifbar, aber darum nicht minder bedeutsam: Europa definiert sich politisch. Nicht durch ein Dokument, sondern durch die Aktion. Unverzüglich hat Europa auf einen Krieg an seinem Rand reagiert, deutliche Worte gefunden und erst einmal die Bombe entschärft. Deutliche Worte übrigens auch im eigenen Lager, was ja eine Stärke des gegenwärtigen Präsidenten ist. Sarkozy, der seine Abneigung gegen gewundene Reden gern auch körpersprachlich mitteilt, tritt international nicht viel anders auf als zu Hause. »Wollt ihr Krieg, oder was?«, heißt es dann oder: »Behaltet mal die Nerven!«.  
 
Sarkozy drückt sich einfach aus, wenn es ihm wichtig wird. Dann fasst er zum Beispiel den ganzen Sinn Europas so zusammen: Keinen Krieg! In solchen Momenten ist Europa plötzlich überhaupt nicht mehr weit weg. Bürgernähe entsteht durch klare Sprache.  
 
Schwierig bleiben die Verhältnisse ja trotzdem. Kompliziert bleibt etwa die Geometrie von Sicherheit und Recht. Nein, sie sind nicht kongruent. Unrecht produziert Unsicherheit, aber wer mit allen Mitteln das Recht durchsetzen will, setzt die Sicherheit aufs Spiel. Wie sooft geht es nicht um Ja oder Nein, sondern um das Maß. Theoretisch lässt es sich nicht definieren, nur praktisch. Was ganz im Sinne des Sarkozismus ist, dessen Methode sich mit einer Marxschen Devise beschreiben ließe: »Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.«  
 
Ein Europa, das seine Grenzen kennt, erzeugt mehr Stabilität  
 
Ginge es allein nach der Theorie, dann wäre die Ukraine vielleicht europäisch, und gerecht wäre das wohl auch. Doch die französische Außenpolitik, ebenso wie die deutsche, sieht das Land lieber als bevorzugten Nachbarn der EU denn als Mitglied. Eine Politik der verlässlichen Nachbarschaft könnte der Ukraine helfen, die innere Spaltung des Landes zu überwinden, so denkt man in Paris, eine Politik des Beitritts in EU oder Nato indes beschwöre die Gefahr einer Abspaltung herauf.  
 
Natürlich war es nicht schön, am Dienstag dieser Woche im Élysée die Enttäuschung des ukrainischen Staatschefs mitanzusehen. Und doch: Ein Europa, das seine Grenzen kennt, wird letztlich mehr Stabilität erzeugen als eines, das mit der Ukraine – oder mit der Türkei – Keile bis nach Asien vortreibt.  
 
Koalitionen mit den Russen gegen Dritte waren in Europa stets verhängnisvoll. Konfrontationen auch. Richtig gemacht hat es jetzt die EU; am Montag gab es einen Moment, wo ihr Präsident bei den Verhandlungen in Moskau aufstand und sagte: »Wir reisen ab. So geht’s nicht.« Das kann nur, wer sich vorher an den Verhandlungstisch begeben hat. Ob das denjenigen immer klar ist, die entschlossenes Auftreten mit Eskalation verwechseln?  
 
Die EU hat demonstriert, vor allem sich selbst, dass sie hart und besonnen zugleich handeln kann. Dass ihre Abhängigkeit von Russland die halbe Wahrheit und eine ganze Unwahrheit ist: Europa, als wichtigster Kunde der russischen Wirtschaft, als ihr größter Lieferant und Investor, muss nicht als Hausierer auftreten. In einem Monat soll über die Partnerschaft mit Russland verhandelt werden; letztlich aber wird es in Genf um Europas Selbstverständnis gehen.  
 
Vielleicht wird man irgendwann sagen: Die Verhältnisse zwangen die EU dazu, geschlossen zu handeln. Und man gewöhnte sich so daran, dass es selbstverständlich wurde.  
 
Nicolas Sarkozy wuchs mit den Krisen. Darauf ist er stolz, kann es kaum verhehlen, beherrscht sich aber, denn Europa hat zuweilen die Neigung, in die Falle zu tappen, deren Speck das Gloriose ist. Sarkozy wollte Europa sichtbar und Frankreich sichtbar europäisch machen: So hatte er sich seine EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt. So ist es auch gekommen, nur anders als geplant. Ein buntes Bukett französischer und europäischer Initiativen war zuvor arrangiert worden, darin atlantische und südliche Blumen, praktisches Militär- und Ökogrünzeug, umsetzungsreife Ideen für einen »Immigrationspakt«. Doch dann brach erst eine mittlere innere Krise aus, die irische, gefolgt von einer großen äußeren, der kaukasischen.  
 
In dieser zweiten Krise hat Europa etwas gewagt und etwas erreicht, trotz Russlands faktischer – und völkerrechtswidriger – Territorialgewinne in Georgien. Erfolg Nummer eins: Das Europa der divergierenden 27 einigte sich auf eine gemeinsame Diplomatie gegenüber Russland.  
 
Erfolge Nummer zwei und drei: am 12. August ein blitzartig erreichter Waffenstillstand sowie der Verzicht Russlands auf den Sturz des georgischen Präsidenten; am 8. September eine mit Terminen versehene Abmachung über den Rückzug der russischen Truppen in ihre Stellungen vor dem Krieg. Diplomatische Leistungen, die eben nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Gelände wirken, dort also, wo Blut fließt.  
 
Mit Beobachtern der OSZE und der EU geht es sodann weiter, es folgt eine Sicherheitskonferenz.  
 
Bravo, Sarko? Oder hat er bloß eine Lücke gefüllt, die ihm das mit sich selbst beschäftigte Amerika ließ? Man sollte die Außenpolitik der Vereinigten Staaten weder unter- noch überschätzen. Ihr Apparat kann jederzeit reagieren, wenn’s brennt. Leider nicht immer mit Umsicht, und diesmal eher als Störenfried, aber Washington ließ der EU den Vortritt. Aber wozu sollte es sich auch noch diesen Konflikt an den Grenzen Europas aufhalsen?  
 
Der vierte Erfolg der EU ist nicht ganz so greifbar, aber darum nicht minder bedeutsam: Europa definiert sich politisch. Nicht durch ein Dokument, sondern durch die Aktion. Unverzüglich hat Europa auf einen Krieg an seinem Rand reagiert, deutliche Worte gefunden und erst einmal die Bombe entschärft. Deutliche Worte übrigens auch im eigenen Lager, was ja eine Stärke des gegenwärtigen Präsidenten ist. Sarkozy, der seine Abneigung gegen gewundene Reden gern auch körpersprachlich mitteilt, tritt international nicht viel anders auf als zu Hause. »Wollt ihr Krieg, oder was?«, heißt es dann oder: »Behaltet mal die Nerven!«.  
 
Sarkozy drückt sich einfach aus, wenn es ihm wichtig wird. Dann fasst er zum Beispiel den ganzen Sinn Europas so zusammen: Keinen Krieg! In solchen Momenten ist Europa plötzlich überhaupt nicht mehr weit weg. Bürgernähe entsteht durch klare Sprache.  
 
Schwierig bleiben die Verhältnisse ja trotzdem. Kompliziert bleibt etwa die Geometrie von Sicherheit und Recht. Nein, sie sind nicht kongruent. Unrecht produziert Unsicherheit, aber wer mit allen Mitteln das Recht durchsetzen will, setzt die Sicherheit aufs Spiel. Wie sooft geht es nicht um Ja oder Nein, sondern um das Maß. Theoretisch lässt es sich nicht definieren, nur praktisch. Was ganz im Sinne des Sarkozismus ist, dessen Methode sich mit einer Marxschen Devise beschreiben ließe: »Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.«  
 
Ein Europa, das seine Grenzen kennt, erzeugt mehr Stabilität  
 
Ginge es allein nach der Theorie, dann wäre die Ukraine vielleicht europäisch, und gerecht wäre das wohl auch. Doch die französische Außenpolitik, ebenso wie die deutsche, sieht das Land lieber als bevorzugten Nachbarn der EU denn als Mitglied. Eine Politik der verlässlichen Nachbarschaft könnte der Ukraine helfen, die innere Spaltung des Landes zu überwinden, so denkt man in Paris, eine Politik des Beitritts in EU oder Nato indes beschwöre die Gefahr einer Abspaltung herauf.  
 
Natürlich war es nicht schön, am Dienstag dieser Woche im Élysée die Enttäuschung des ukrainischen Staatschefs mitanzusehen. Und doch: Ein Europa, das seine Grenzen kennt, wird letztlich mehr Stabilität erzeugen als eines, das mit der Ukraine – oder mit der Türkei – Keile bis nach Asien vortreibt.  
 
Koalitionen mit den Russen gegen Dritte waren in Europa stets verhängnisvoll. Konfrontationen auch. Richtig gemacht hat es jetzt die EU; am Montag gab es einen Moment, wo ihr Präsident bei den Verhandlungen in Moskau aufstand und sagte: »Wir reisen ab. So geht’s nicht.« Das kann nur, wer sich vorher an den Verhandlungstisch begeben hat. Ob das denjenigen immer klar ist, die entschlossenes Auftreten mit Eskalation verwechseln?  
 
Die EU hat demonstriert, vor allem sich selbst, dass sie hart und besonnen zugleich handeln kann. Dass ihre Abhängigkeit von Russland die halbe Wahrheit und eine ganze Unwahrheit ist: Europa, als wichtigster Kunde der russischen Wirtschaft, als ihr größter Lieferant und Investor, muss nicht als Hausierer auftreten. In einem Monat soll über die Partnerschaft mit Russland verhandelt werden; letztlich aber wird es in Genf um Europas Selbstverständnis gehen.  
 
Vielleicht wird man irgendwann sagen: Die Verhältnisse zwangen die EU dazu, geschlossen zu handeln. Und man gewöhnte sich so daran, dass es selbstverständlich wurde.  
 
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