Rußland bleibt trotz aller Beteuerungen des Präsidenten ein unsicheres Terrain für Investoren  
Wenn The Lord Browne of Madingley von seinem Amtssitz in London nach Rußland aufbricht, muß das einen triftigen Grund haben. Der Vorstandsvorsitzende von British Petroleum (BP) hat für die kommende Woche um einen Termin bei Präsident Wladimir Putin im Kreml nachgesucht.  
 
 
In der vergangenen Woche ereilte das Joint-venture TNK-BP die Meldung, daß die russischen Steuerbehörden für das Jahr 2001 eine Nachforderung von einer Milliarde Dollar erheben werden. "Not my problem", könnte sich Lord Browne sagen. Schließlich haftet TNK, das den Oligarchen Michail Friedman, Viktor Vekselberg und Leo Blavatnik gehört, für derartige Steuerrechnungen aus der Zeit vor der Gründung des Joint-ventures.  
 
 
Das Problem für Lord Browne: BP könnte mit in den Strudel geraten. Auch Yukos Niedergang, einst größter Erdölkonzern des Landes, begann unscheinbar mit einer Milliardenforderung eines regionalen Steueramts.  
 
 
Die Nerven liegen bei Rußland-Investoren blank. Die Signale, die Kreml und Regierung aussenden, sind widersprüchlich. So lädt Rußland die BASF-Tochter Wintershall AG ein, gemeinsam mit Gazprom das gewaltige Juschno-Russkoje-Erdgasfeld in Westsibirien zu erschließen. Renault hat ein Werk in Moskau eröffnet. Toyota, Daimler-Chrysler und VW wollen nachziehen. Die Ampel steht auf Grün.  
 
 
Zugleich verbietet jedoch die Anti-Monopolbehörde, offensichtlich auf politischen Druck hin, die Übernahme des größten Maschinenbauherstellers Power Machines durch Siemens. Dutzende Steuerfälle, die auch Auslandsinvestoren wie Japan Tobacco JTI oder die norwegische Telenor betreffen, die am Mobilfunker Vimpelcom beteiligt ist, wurden eröffnet. Die Ampel steht auf Rot.  
 
 
Bei Siemens, wie auch bei BP, stand Putin im Wort. Der Internationale Währungsfonds hat den "Yukos-Effekt" auf die russische Wirtschaft im vergangenen Jahr mit 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angegeben. In diesem Jahr könnte er höher sein. Im ersten Quartal dieses Jahres betrug das Wirtschaftswachstum nur noch 4,8 Prozent (Vorjahreszeitraum: 7,1 Prozent).  
 
 
Die russische Regierung ist gespalten. Die Reformer um Wirtschaftsminister German Gref und Finanzminister Alexej Kudrin kämpfen darum, den Staatseinfluß auf die Wirtschaft zu verringern. Die Wirtschaft sei nur mit Auslandsinvestoren und Know-how-Transfer zu modernisieren.  
 
 
Premierminister Michail Fradkow sieht das anders. Der Staat muß die Wirtschaft beherrschen. Ausländer? Nein, danke. Das gilt für alle, wie Fradkow das nennt, "strategischen Bereiche von nationaler Bedeutung". Fradkow ist Fürsprecher einer Kremlfraktion, die als "die Geheimdienstler" bezeichnet wird.  
 
 
Druck, transparente Spielregeln einzuführen und Korruption zu bekämpfen, verspürt die Mannschaft um Fradkow nicht. Dank Öl und Gas sind die Währungsreserven auf 137,5 Milliarden Dollar angeschwollen. Der Stabilitätsfonds, der aus Petrodollars gespeist wird, könnte Ende 2006 mit 60 Milliarden Dollar prall gefüllt sein.  
 
 
Putin äußert sich nicht klar zum Wirtschaftskurs. "Wenn wir zu ihm in den Kreml gehen, nickt er beifällig", sagt einer der liberalen Reformer. Den Geheimdienstlern wird es bei Treffen mit Putin ähnlich ergehen.