Pawel Astachow, der Star unter Russlands Rechtsanwälten
Der smarte Anwalt will das traditionelle russische Bündnis zwischen Richtern und Staatsanwälten durchbrechen.
Es war einer dieser Fälle, vor denen Pawel Astachow immer wieder gewarnt worden war. Erstmals seit 1960, als ein U2-Aufklärungsflugzeug mit dem amerikanischen Piloten Francis Gary Powers an Bord über dem Ural abgeschossen worden war, stand wieder ein Amerikaner wegen Spionage vor einem russischen Gericht. „Lass die Finger von dem Verfahren. Du hast keine Chance“, rieten ihm seine Anwaltsfreunde ab.
Astachow zögerte nicht lange. Er übernahm die Verteidigung des angeklagten Geschäftsmannes Edmond Pope. Der smarte Anwalt machte das Verfahren zu einem „Schauprozess“ anderer Art: über rechtsstaatliche Mängel im postkommunistischen Russland. Sehr zum Ärger der Geheimdienstler und von Präsident Wladimir Putin erklärte er Abend für Abend ruhig und gelassen Millionen von Fernsehzuschauern, warum von 200 Anträgen der Verteidigung nur drei zugelassen, warum Zeugen nicht geladen wurden und ihm auf Schritt und Tritt Geheimdienstmitarbeiter folgten. Sein zwölf Seiten langes Schlussplädoyer verfasste Astachow als ein „J’accuse“ in Versform.
Als das Gericht nach nur zwei Stunden Beratung auf 22 druckfrischen Seiten begründete, warum Pope zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, wunderte sich Astachow über die „Schnelligkeit der Justiz“ und vermutete wohl nicht zu Unrecht, das Urteil sei schon vor Verfahrensende getippt worden. Seinen Einsatz im Fall Pope sieht er „eher in historischen Dimensionen“. Er schließe nicht aus, dass über kurz oder lang —„das kann 50 Jahre dauern“ — das Urteil aufgehoben werde.
Spätestens seit dem Fall Pope — der Amerikaner wurde nur eine Woche nach dem Urteil begnadigt — ist Astachow der Star unter Russlands Rechtsanwälten. Dabei ist er erst 34 Jahre alt und seit gerade einmal zehn Jahren als Jurist tätig. Astachow studierte, als Michail Gorbatschow Glasnost und Perestroika predigte, Jura, bevor er Anfang der neunziger Jahre als Jurist bei einer Fluggesellschaft anfing, die sich vergeblich darum bemühte, mit der Lufthansa beim Bau eines Airports ins Geschäft zu kommen. Seit 1994 arbeitet er als freier Rechtsanwalt und ist Mitglied des Moskauer Städtischen Anwaltskollegiums.
Bei Astachow, einem hoch gewachsenen und breitschultrigen Mann mit blondem Kurzhaarschnitt, der gerne zum schwarzen Designeranzug dunkle Rollkragenpullover trägt, klingelt alle fünf Minuten das Handy. Der viel beschäftigte Advokat besitzt die Gabe, mehrere Termine auf einen Zeitpunkt zu legen. Sein 16-Stunden-Arbeitstag ist vollständig mit dem gegenwärtig spektakulärsten Fall in Russland ausgefüllt: der Verteidigung des beim Kreml in Ungnade gefallenen Medientycoons Wladimir Gussinski, der im spanischen Exil auf seine Auslieferung wartet.
Anwalt zu sein in Russland ist Kärrnerarbeit. Da fehlt bis heute ein Gesetz über Anwaltstätigkeit, da wirkt eine Strafprozessordnung von 1960, die in der Mehrzahl ihrer Punkte der Verfassung widerspricht. Pro Jahr stehen 5000 Freisprüchen 1,2 Millionen Verurteilungen gegenüber. Besonders bei Strafprozessen, so Astachow, habe die Verteidigung in der Regel keine Chance, sich gegen das Bündnis aus Staatsanwalt und Richter durchzusetzen. „Da kann man sich Magengeschwüre holen und kaputte Nerven.“ Ihn reizten deshalb eher Zivilprozesse und Verfahren vor Arbitragegerichten. Ein erfolgreicher Anwalt in Russland müsse aber Alleskönner „vom Scheidungs- bis zum Strafrecht“ sein.
Die russische Justizlandschaft gleicht einem Paragrafendschungel, in dem das Gesetz des Stärkeren gilt. So hat sich Astachow zufolge in der Generalstaatsanwaltschaft die Meinung durchgesetzt, dass man über dem Gesetz stehe. „Sie irren sich und haben ein gutes Gewissen dabei.“ Richter würden oft die Gesetze nicht kennen. Auch das Anwaltswesen habe etwas von Wildwuchs. So könne sich in Russland jedermann „Advokat“ nennen. Zu der Unordnung passt, dass es keine Anwaltsgebührenordnung gibt und Honorare „diskret“ ausgehandelt werden. Astachow, der mit einem fünfköpfigen Team arbeitet, sieht sich als „naiven Anwalt“, der noch nie Bestechungsgelder gezahlt hat, und als „Pionier“ auf dem Weg zu einem Rechtsstaat.
Während seine beiden Söhne und seine Frau von Leibwächtern beschützt werden, geht Astachow ohne Bodyguards aus dem Haus. Lediglich vor einigen Jahren hätten ihn drei Leibwächter umgeben, nachdem ihn Mafiosi mit einer Pistole bedroht hatten. Nervenstärke holt sich Astachow bei der Jagd. Sein Großvater war Oberster Jäger im Smolensker Gouvernement. Ruhe findet er bei seinem zweiten Hobby, dem Sammeln von Vergrößerungsgläsern. „Meine Freunde“, so Astachow, „halten das für eine professionelle Reaktion auf die Blindheit der Justitia.“