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Wenn aus Schurken Alliierte werden Amerikas Allianz gegen den Terror sammelt Freunde und Finsterlinge. George W. Bush hat ein Zweckbündnis geschmiedet, keine Wertegemeinschaft. Manche Partner sind einander spinnefeind. Der Weg nach Kabul ist voller Stolperdrähte Von Matthias Naß (c) DIE ZEIT 41/2001 Die Operation "Dauerhafte Freiheit" begann im Verborgenen. CNN war mit seinen Kameras nicht dabei, als die ersten Soldaten der U. S. Special Forces vergangene Woche in Pakistan, Usbekistan und Tadschikistan landeten, als kleine, hochmobile Kommandotrupps der Amerikaner und Briten in Afghanistan einsickerten. Dieser Krieg, das hatten die Strategen in Washington ein ums andere Mal betont, werde anders sein. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gebe es "keine Strände zu erstürmen und keine Inseln einzunehmen", sagte Condoleezza Rice, die Sicherheitsberaterin von Präsident Bush. Man werde vielmehr einen "Krieg des Willens und des Verstandes" führen. Aber zunächst kam die Stunde der Diplomatie. "Dies ist der Kampf der ganzen Welt", hatte George W. Bush in seiner großen Rede am 20. September vor dem Kongress gesagt. "Wir fordern jede Nation auf, sich uns anzuschließen." Und tatsächlich haben die Anschläge von New York und Washington die Nationen wachgerüttelt. In einer langen Prozession gaben Könige, Präsidenten, Premiers und Außenminister im Weißen Haus und im State Department das Versprechen ab, "Seite an Seite" und "Schulter an Schulter" mit den Amerikanern in diesen Kampf zu ziehen. Außenminister Colin Powell, haben fleißige Chronisten gezählt, sprach in den ersten beiden Wochen nach den Anschlägen mit den Vertretern von 197 Staaten und internationalen Organisationen. Eine Allianz nimmt Konturen an, wie die Geschichte sie noch nicht gesehen hat, weit größer als die Kriegskoalition vor zehn Jahren am Golf. Die Worte des US-Präsidenten vor dem Kongress waren so einladend wie einschüchternd. "Jede Nation muss sich nun entscheiden: Entweder ihr steht zu uns, oder ihr steht zu den Terroristen." Nicht ratsam, da neutral zu bleiben, empfanden viele Politiker, die Amerika sonst nicht in ihr Nachtgebet einschließen. Der 11. September hat die Tagesordnung der Weltpolitik über den Haufen geworfen. Dem Kampf gegen den Terrorismus ordnet sich plötzlich alles unter: die Raketenabwehr, die Nato-Erweiterung, der Klimaschutz, der Konflikt mit China. Auch hat die Regierung Bush begriffen, wie leichtfertig es ist, der Eskalation zwischen Israel und den Palästinensern unbeteiligt zuzuschauen. Aber die neue Einmütigkeit darf niemanden täuschen: Diese Allianz ist ein Ad-hoc-Bündnis, keine Wertegemeinschaft. Der Kampf gegen den Terror macht aus Diktaturen noch keine Demokratien. Er lässt aber sehr schnell aus Aufständischen gegen Fremdherrschaft Terroristen werden und aus Terroristen Freiheitskämpfer. Dies ist auch eine Allianz der merkwürdigen Bettgenossen, der widersprüchlichen Interessen, der unappetitlichen Deals und der faulen Kompromisse. In dem von George W. Bush apostrophierten monumentalen Kampf des Guten gegen das Böse hat jeder zuerst den eigenen Vorteil im Sinn. Belastbarkeit und Haltbarkeit der Allianz dürften schnell getestet werden. "Über den Weg nach Kabul sind eine Menge Stolperdrähte gespannt", schrieb die New York Times. Wie es ohnehin nicht die eine Allianz gibt, sondern mindestens deren drei. Die erste umfasst neben den Amerikanern nur noch die Briten (siehe auch Seite 5); dies ist der zum militärischen Eingreifen entschlossene Kern der Koalition, dem sich allenfalls noch andere Nato-Partner wie Frankreich und vielleicht Deutschland oder alte Verbündete Amerikas wie Australien anschließen dürften. Um diesen Kern legt sich ein Ring jener Staaten, die bereit sind, den Militäreinsatz zu unterstützen oder ihn überhaupt erst zu ermöglichen - durch die Öffnung ihres Luftraums, durch logistische Unterstützung, durch Geheimdienstinformationen oder durch die Stationierung fremder Truppen. Zu dieser zweiten Allianz gehören Pakistan, Usbekistan, Tadschikistan, die Türkei, Saudi-Arabien und Golfstaaten wie Kuwait, Bahrain und Katar. Den dritten, weitaus größten Ring bilden all jene Länder, die ihr Wissen über das Netzwerk des internationalen Terrorismus teilen, die dubiosen Finanztransaktionen nachspüren, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe leisten und Amerika in unterschiedlichster Weise diplomatisch und politisch unterstützen - und sei es, indem sie jenen Terrorgruppen, die sie bisher gefördert oder geduldet haben, ihre Hilfe entziehen. In dieser Gruppe finden sich neben den asiatischen Großmächten China, Japan und Indien auch einige "Schurkenstaaten", denen Washington eben noch Staatsterrorismus vorgeworfen hat: der Sudan etwa, mit Einschränkungen auch Syrien oder der Iran. Nach der Resolution des Weltsicherheitsrates vom vergangenen Freitag kann jedes UN-Mitgliedsland, das der völkerrechtlich verbindlichen Entschließung Folge leistet, zum äußeren Ring der Allianz gezählt werden. Terroristen sollen keine Ruheräume mehr finden, der Sumpf ihrer Finanzierung soll trockengelegt, die Strafverfolgung verschärft werden; innerhalb von 90 Tagen muss jedes Land Bericht erstatten, wie es die Forderungen der Resolution umgesetzt hat: Das beschloss der Sicherheitsrat mit 15 : 0 Stimmen. Auch dies ein Triumph der amerikanischen Diplomatie. Jeder nach seinen Möglichkeiten: So stellt sich die Regierung Bush den Feldzug gegen den Terror vor. "Die Uniformen in diesem Konflikt", sagt Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, "werden die Nadelstreifen der Bankiers und die Freizeitkleidung der Programmierer genauso sein wie die Tarnanzüge für den Wüstenkampf." Die Nato ließ nicht für einen Moment Zweifel aufkommen, dass sich die Vereinigten Staaten auf die Verbündeten verlassen können. Der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags wurde zwar nur per Vorratsbeschluss konstatiert, die Amerikaner wollen zunächst - mit den Briten - allein handeln. Aber politisch hat die Nato demonstrativ ein Zeichen der Solidarität gesetzt. Um den militärischen Beistand der Briten musste sich George Bush am geringsten sorgen. Tony Blair ist überzeugt, dass die Terror-Internationale des Osama bin Laden zu jeder Schreckenstat fähig ist: "Diese Leute würden auch chemische, biologische oder nukleare Waffen einsetzen, wenn sie nur könnten. Wir haben keine Wahl, wir müssen handeln." Im Krieg steht Britannien unbeirrt an Amerikas Seite. Andere Europäer tun sich da schwerer. Sie möchten sich nicht in "Abenteuer" stürzen, mahnen die Verhältnismäßigkeit der Mittel an, haben zum Militär vielleicht ein gebrocheneres Verhältnis als die Briten. Diplomatisch haben sie an der Anti-Terror-Koalition trotzdem kräftig mitgeschmiedet. So reiste die EU-Troika nach Islamabad, Teheran, Riad, Kairo und Damaskus. Mit Syrien oder dem Iran können die Europäer leichter sprechen als die Amerikaner. Der spektakulärste neue Alliierte ist einer, der mit Macht nach Europa und, warum denn nicht, in die Nato drängt. "Wir kämpfen gegen einen gemeinsamen Feind", hat Wladimir Putin den Amerikanern zugerufen. Nach anfänglichem Zögern und gegen den Widerstand der Generalität empfahl Russlands Präsident den ehemaligen sowjetischen Republiken in Zentralasien, den amerikanischen Streitkräften ihren Luftraum zu öffnen und ihnen Stützpunkte für Operationen in Afghanistan zur Verfügung zu stellen. Die Vereinigten Staaten, die in den achtziger Jahren die afghanischen Mudschahidin gegen die sowjetischen Besatzer aufrüsteten, heißen den Partner herzlich willkommen. Schließlich, urteilt Außenminister Colin Powell mit unnachahmlichem Pragmatismus, haben die Russen "viel Erfahrung in Afghanistan, wir werden uns auf diese Erfahrung stützen". Wofür natürlich ein kleines Gegengeschäft fällig ist. Empört hatte Russland stets die westliche Kritik an seiner grausamen Kriegführung in Tschetschenien zurückgewiesen. Diese Kritik, die ohnehin schon sehr leise geworden war, dürfte jetzt ganz verstummen. Man müsse die Dinge "differenziert" betrachten, gibt der Bundeskanzler zu bedenken. Soll heißen: Man muss die Prioritäten richtig setzen. Aufmarschgebiet voller Fallstricke George W. Bush hatte im Wahlkampf noch getönt: "Dieser Bursche Putin, der jetzt vorübergehend Präsident ist, kam als Ergebnis von Tschetschenien an die Macht." Jetzt aber streitet Putin plötzlich für die richtige Sache. Denn auch über Tschetschenien, haben die Amerikaner gelernt, spannt sich das Netz des internationalen Terrorismus: "Wir glauben, dass es (dort) einige Kerle von Al-Qaida gibt", der Organisation Osama bin Ladens, sagt Bush heute. Prompt begann die russische Armee mit neuen Säuberungsaktionen. Wichtigstes Aufmarschgebiet der Amerikaner in Zentralasien dürfte Usbekistan werden. Dessen Präsident Islam Karimow zeichnet sich durch seinen Unabhängigkeitswillen gegenüber Moskau ebenso aus wie durch sein despotisches Regiment. Karimow hofft nun auf amerikanische Hilfe in seinem Kampf gegen die von den Taliban unterstützte Islamische Bewegung Usbekistans und auf das Schweigen Washingtons zu seinen scheußlichen Menschenrechtsverletzungen. Im Westen Afghanistans dürfte Pakistan den Amerikanern Stützpunkte und Flugfelder für ihre Angriffe zur Verfügung stellen - für Angriffe auf ebenjene Taliban, die Geschöpfe des pakistanischen Geheimdienstes und der Koranschulen zugleich sind. Der Zufall wollte es, dass Geheimdienstchef Mahmood Ahmed just am Tag der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon in Washington weilte, um amerikanische Sorgen über Verbindungen zwischen Osama bin Laden und militanten islamistischen Organisationen in Pakistan zu zerstreuen. Präsident Pervez Musharraf ergriff sofort die Chance, das seit Jahren ramponierte Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu reparieren, und sicherte den Amerikanern Überflugrechte und Zusammenarbeit der Geheimdienste zu. Der Lohn: Washington hob die nach den Nukleartests 1998 gegen Pakistan wie gegen Indien verhängten Wirtschaftssanktionen auf; IWF und Weltbank stellten Pakistan neue Kredite in Aussicht, und auch Japan erklärte sich zu Umschuldungen in Höhe von 500 Millionen Dollar bereit. Über Jahrzehnte war Pakistan Amerikas engster Verbündeter in Südasien. Der Vormarsch der Islamisten im Lande, Waffengeschäfte mit China und der Griff nach der Atombombe belasteten die Beziehungen und führten zur Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und Indien. Bis heute hat Pakistan die diplomatischen Beziehungen zu den Taliban nicht abgebrochen - im Unterschied zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, den beiden einzigen anderen Ländern, die das Regime in Kabul anerkannt hatten. Amerika steht vor der paradoxen Situation, dass seine wichtigsten Mitstreiter in Südasien, Pakistan und die in Afghanistan gegen die Taliban kämpfende Nordallianz, einander spinnefeind sind. Die Nordallianz erhält Geld und Waffen von Russland, vom Iran - und von Indien. Pakistans Unterstützung der Taliban ist der Regierung in Delhi seit langem ein Dorn im Auge. Sie wirft Pakistan vor, zu dulden, dass die Taliban gemeinsam mit pakistanischen Islamisten in Kaschmir zum "heiligen Krieg" gegen die Inder mobilisieren. Delhi überhäuft die Amerikaner nun geradezu mit Offerten, um in der Allianz nur ja nicht hinter Pakistan zurückzustehen, nachdem unter Bill Clinton die Freundschaft zu Washington eben erst erblüht war. Man sieht, das zentral- und südasiatische Aufmarschgebiet zum "ersten Krieg im 21. Jahrhundert" ist unübersichtlich und voller diplomatischer Fallstricke. Nicht anders bei den potenziellen nahöstlichen Koalitionären. Der Iran etwa, zu Jahresanfang vom State Department noch als "aktivster staatlicher Förderer des Terrorismus im Jahr 2000" identifiziert, soll nun mit von der Partie sein, wenn es gegen bin Laden und die Taliban geht. Neben Pakistan kennt keiner die afghanischen Verhältnisse so gut wie der Nachbar im Westen. Präsident Khatami, der seit langem ein besseres Verhältnis zum Westen anstrebt, würde die Gelegenheit gern ergreifen und fand beim Besuch der EU-Troika freundliche Worte für die Allianz. Doch Khatami kann nicht gegen die Konservativen um Irans geistiges Oberhaupt Ayatollah Khamenei handeln. Der hat sich auf die Formel zurückgezogen: "Wir sind nicht mit euch Amerikanern, aber wir sind auch nicht mit den Terroristen." Immerhin: Zum ersten Mal seit mehr als zwanzig Jahren eröffneten die Gläubigen nicht mehr mit dem Ruf "Tod Amerika!" das Freitagsgebet. "Es ist absolut faszinierend zu beobachten, wie schnell die politische Weltkarte neu gezeichnet wird", staunt der französische Strategieexperte François Heisbourg. Darf nun auch Syrien, ein "Schurkenstaat" wie kaum ein zweiter, mit Milde rechnen? Den EU-Emissären gab der junge Präsident Baschar al Assad zu bedenken: "Wenn es jetzt 10 000 Terroristen gibt, so wird es nach einem erfolgreichen Schlag 100 000 und nach einem misslungenen Schlag eine Million Terroristen geben." Natürlich verdammt auch Syrien die Anschläge gegen Amerika. Aber es unterscheidet doch sehr feinsinnig zwischen solchen Terrorakten, die Unschuldige treffen, und dem Widerstandskampf gegen fremde (israelische) Besatzung. Mord ist Mord, erwidert EU-Außenkommissar Chris Patten, einen "guten und schlechten Terrorismus" gebe es nicht. Streit über die Kriegsziele Zwischen Washington und Damaskus, heißt es, werde diskret gesprochen. Was auffällt: Auf der von Präsident Bush vorgelegten Schwarzen Liste von 27 Terrororganisationen, deren Konten weltweit eingefroren werden sollen, fehlen die von Syrien und dem Iran unterstützten Palästinensergruppen Hamas und Hizbullah. Hat am 11. September ein neues weltpolitisches Kapitel begonnen? Die von Amerika kraft- und kunstvoll geformte Allianz eröffnet zumindest ungeahnte Chancen. Sie reichen von der Annäherung Russlands an die Nato, einer Entspannung zwischen den USA und China, einer Neubelebung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses, einer Abkehr weiterer "Schurkenstaaten" vom Staatsterrorismus bis zum Ausgleich zwischen Pakistan und Indien über Kaschmir. Wenn denn alles gut geht. Doch wer wollte darauf bauen? Interessenkollisionen, Fehlkalkulationen, Provokationen und Pannen werden auch diesen "Feldzug" begleiten. "Dies wird nicht in Afghanistan aufhören", sagt der stellvertretende amerikanische Außenminister Richard Armitage. Was kommt danach? Ein Angriff auf den Irak, wie es die Falken im Pentagon noch immer wünschen? Er würde die Allianz sofort sprengen. Warnungen der Europäer und der gemäßigten Araber, zumal des ägyptischen Präsidenten Mubarak, haben ihre Wirkung in Washington nicht verfehlt. Aber tagelang wogte der Streit in der Regierung Bush über die Kriegsziele. Fürs Erste haben sich die Besonnenen durchgesetzt. Seit dem 11. September wissen wir: Auch die Supermacht USA ist verwundbar, sie gerade. "Für Amerika ist dies das Ende des Unilateralismus. Und für den Rest der Welt ist es das Ende der Freifahrt", schrieb Fareed Zakaria in Newsweek. Wenn es nur so einfach wäre! Natürlich wird das Amerika des Republikaners Bush nicht zum Multilateralismus konvertieren. Und natürlich reiste "der Rest der Welt" nie kostenlos mit - schon gar nicht beim Kampf gegen den Terrorismus. Was aber Amerika gelungen sein könnte: rechtzeitig eine Allianz der Lernfähigen und Lernwilligen zu begründen. Die schmiedet meist erst der Krieg selbst. Und in Wahrheit hat er ja auch schon begonnen, in New York und Washington.
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