Pipelines, Bomben und Soldaten
Von Lutz C. Kleveman, Baku
Mit aller Macht wollen die Amerikaner ihre Abhängigkeit vom arabischen Öl drosseln und schieben dazu ein gefährliches Milliardenabenteuer an. Um an die Ölreserven am kaspischen Meer heranzukommen unterstützen sie skrupellose Ölbosse und machthungrige Despoten. Eine Reportage-Serie über den Kampf der Staaten und Konzerne um Pipeline-Routen und militärische Vorherrschaft.
Ölfeld bei Baku (Aserbeidschan): Das neue "Große Spiel" zwischen Kaukasus und Pamir
Im "Finnegans" trifft sich, was man in Baku die "Ölmänner" nennt. Nicht die Bosse und Manager, die zieht es nach Feierabend eher ins feine "Sunset Café" oder direkt heim in ihre Villen vor der Stadt. Das "Finnegans" in der Altstadt ist für die Jungs von den Bohrinseln. Die sich, wenn sie Schichtpause an Land machen, nach einem Pub wie zuhause sehnen.
Hier wird ihnen geholfen: Aus den Boxen über dem Tresen kommt Rockmusik, man kann in Dollars bezahlen, und im Fernseher an der Wand spielt Manchester United gegen Chelsea. Für ein paar Stunden können die Ölmänner den penetranten Petroleumgestank vergessen, der Tag und Nacht die Hauptstadt der ex-sowjetischen Republik Aserbaidschan durchzieht.
"Ein wackeliger Flug war das - bin gespannt, wann die nächste Maschine ins Meer plumpst", sagt Thomas, als er an die Bar tritt. Der Ölingenieur aus Westfalen arbeitet auf der Plattform Chirag, 80 Kilometer auf dem Kaspischen Meer gelegen, von wo ihn am Nachmittag der Konzern-Helikopter von British Petroleum-Amoco in die Stadt gebracht hat. Ein schottischer Kollege klopft Thomas auf die Schulter und schlägt eine Wette darauf vor, wessen Hubschrauber wohl als erster abstürzen werde. "Jeder setzt auf seinen eigenen Flug - dann hat man wenigstens die Wette gewonnen, wenn es abwärts geht."
Der Autor dieser Serie schrieb zum gleichen Thema das in dieser Woche erscheinende Buch "Der Kampf um das heilige Feuer - Wettlauf der Weltmächte am Kaspischen Meer", Rowohlt Berlin, 320 Seiten, 19,90 Euro
Trotz ihres schwarzen Humors ist die Stimmung der Ölmänner den gesamten Abend über ausgezeichnet. Nicht ohne Grund: Der Ölboom am Kaspischen Meer, dem neuen Wilden Osten der Industrie des Schwarzen Goldes, hat seine kurze Flaute überwunden. Auf dem Grund des riesigen Binnensees und an seinen Ufern bohren gleich mehrere transnationale Energiekonzerne nach den größten unerschlossenen Ölvorkommen der Welt und bescheren ihren Arbeitern und Ingenieuren Spitzeneinkommen für viele Jahre.
Schätzungen über das verfügbare Volumen reichen von 50 bis 110 Milliarden Fass Erdöl und etwa sieben bis neun Billionen Kubikmeter Erdgas. Das US-Energieministerium kalkuliert sogar mit 200 Milliarden Barrel Erdöl - nur Saudi Arabien besitzt mit nachgewiesenen 262 Milliarden Barrel mehr. Erst im Sommer 2000 wurde vor der kasachischen Küste das Kashagan-Ölfeld entdeckt, das als eines der fünf größten der Welt gilt.
Der letzte Öl-Rausch in der Geschichte der Menschheit
Für westliche Ölfirmen, denen die verstaatlichten Produktionsstätten der Golfregion und das unsichere Russland wenig Chancen für Beteiligungen bieten, ist der kaspische Boom ein Segen. Sie haben mit den zumeist ex-kommunistischen Potentaten der Region lukrative Verträge abgeschlossen und 30 Milliarden Dollar in neue Förderanlagen gesteckt. Bis zum Jahr 2015 sind weitere Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Dollar vorgesehen.
Zugleich hat aber der voraussichtlich letzte große Öl-Rausch in der Geschichte der Menschheit einen geopolitischen Kampf um den Kaukasus und Zentralasien ausgelöst, wo seit dem Kollaps der Sowjetunion vor zehn Jahren ein Machtvakuum herrscht. Er gleicht dem "Great Game", der imperialen Rivalität zwischen dem Britischen Weltreich und dem zaristischen Russland um das Herz der eurasischen Landmasse im 19. Jahrhundert, das der britische Schriftsteller Rudyard Kipling einst so spannend beschrieb.
Nun ist ein neues "Großes Spiel" um die Territorien zwischen den Gebirgen des Kaukasus und des Pamir entbrannt (siehe Karte). Mit dem Unterschied, dass nun die Amerikaner Gegenspieler der Russen sind. Außerdem mischen dieses Mal reiche Konzerne und Regionalmächte kräftig mit - China, der Iran, die Türkei, Pakistan sowie Shell und BP.
Alle wollen die Kontrolle über die Energiereserven gewinnen, welche die Abhängigkeit vom Öl des mächtigen, arabisch dominierten OPEC-Kartells aus der instabilen Golfregion mindern können. Zwar reichen die Ölreserven des kaspischen Meers entgegen ersten euphorischen Erwartungen nicht an die Vorkommen des Persischen Golfs heran, die etwa 600 Milliarden Barrel, zwei Drittel der Vorräte der Erde, umfassen.
Mit einer Fördermenge von maximal sechs Millionen Barrel pro Tag könnte die kaspische Region einen Weltmarktanteil von lediglich fünf bis acht Prozent erreichen, was ungefähr dem der Förderung aus dem Nordseegrund entspräche. Die Führerschaft des OPEC-Kartells wird also unangefochten bleiben. Zudem gehen die außerhalb der Golfregion liegenden fossilen Reserven allmählich zur Neige. Bei der jährlich um fast zwei Millionen Barrel steigenden Nachfrage nach Rohöl wird der Anteil der OPEC am Weltmarkt in den kommenden zwei Jahrzehnten weiter wachsen.
Strategisches Ziel für Öl-Männer der Bush-Regierung
Aber gerade darin liegt die strategische Bedeutung der kaspischen Vorkommen. Denn um die Abhängigkeit vom arabischen Öl zu mildern, verfolgen die Regierungen der Vereinigten Staaten die Politik, ihre "Energieversorgung zu diversifizieren", also Rohstoffquellen außerhalb der OPEC zu erschließen und zu sichern.
Die Kontrolle über das kaspische Erdöl ist eines der Schlüsselelemente dieser Strategie. "Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der eine Region so plötzlich strategisch so wichtig geworden ist wie jetzt die kaspische Region", erklärte Dick Cheney, der damalige Chef des Petrologistik-Konzerns Halliburton, im Jahre 1998 in einer Rede vor Öl-Industriellen in Washington.
Heute ist Cheney Vize-Präsident der Vereinigten Staaten und gilt als der einflussreichste Mann hinter George W. Bush, der selbst aus der texanischen Ölindustrie kommt. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der amerikanische Feldzug in Afghanistan haben Zentralasien endgültig in den Brennpunkt der US-Außenpolitik gerückt. Washington ist entschlossen, die geostrategischen Kräfteverhältnisse am Kaspischen Meer zu seinen Gunsten zu verändern.
Alle Spieler des neuen "Great Game" beschäftigt ein ernstes Problem: die Ölfelder der landumschlossenen kaspischen Region liegen Tausende Kilometer von Hochseehäfen entfernt, von wo Tanker es zu den Märkten der industrialisierten Welt bringen könnten. Also müssen Pipelines gebaut werden. Und um deren Verlauf gibt es im Kaukasus und in Zentralasien seit fast zehn Jahren Konflikte - und Kriege.
US-Präsident Bush, Vize Cheney: Öl-Strategen in höchsten Regierungsämtern
Russlands Regenten, nach Saudi-Arabien die zweitgrößten Erdölexporteure der Welt, sehen sich noch immer als Aufseher ihrer ehemaligen kaukasischen und zentralasiatischen Kolonien. Trotz der Mitarbeit Präsident Vladimir Putins in der amerikanischen Anti-Terror-Koalition wollen mächtige politische und wirtschaftliche Kreise in Moskau die USA auf Armlänge halten. Sie bestehen darauf, dass die Pipelines für das kaspische Öl wie zu Sowjetzeiten über russisches Territorium nördlich des Kaukasus-Gebirges verlaufen, durch das kriegsgeschüttelte Tschetschenien zum Schwarzmeer-Hafen Novorossijsk.
Die Vereinigten Staaten hingegen wollen den kostbaren Rohstoff russischem Zugriff entziehen, um die Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepubliken von Moskau zu stärken. Eine südliche Route durch den von Mullahs regierten Iran, seit 20 Jahren Amerikas Erzfeind, kommt für Washington ebenfalls nicht in Frage. Die Bush-Regierung, wie zuvor auch schon die Clinton-Administration, kämpft mit allen Mitteln für eine Pipeline, die sowohl Russland als auch den Iran umgeht.
Seit Mitte der 1990er macht Washington daher Druck für ein gigantisches Pipeline-Projekt über 1750 Kilometer von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku durch das Nachbarland Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Massiv unterstützt wird die kühne Idee von der türkischen Regierung, die befürchtet, Tanker aus dem Schwarzen Meer könnten im engen Bosporus havarieren und Istanbul verseuchen. Mit 2,9 Milliarden Dollar Baukosten ist die Leitung allerdings extrem teuer und soll zudem durch politisch sehr instabile Gebiete verlaufen, zunächst wollte darum kein Konzern das Risiko eingehen.
Lutz Klevermann
Altes Ölfeld in Baku: Gespentisches Ödland
Doch beim Öl ist Politik mindestens so wichtig wie der Markt. Darum wird nun die Azerbaijan International Operating Company (AIOC), ein internationales Konsortium aus einem Dutzend Ölkonzernen das Projekt in Angriff nehmen. An dessen Spitze steht die BP Amoco AG, mit der Aserbaidschan Ende 1994 den sogenannten "Jahrhundert-Vertrag" zur Ausbeutung der kaspischen Ölquellen unterzeichnete. Und alle Fäden für das kaspische Ölabenteuer laufen zusammen in der Villa Petrolea, der BP-Konzernzentrale in Baku, inmitten einer der gespenstischsten Industrieödlandschaften der Erde.