Privatbanken - Einsichten und Aussichten
Müsste man versuchen, die Artikel der vorliegenden und facettenreichen
Beilage auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so drängte sich die
Abwandlung eines Zitats von Wilhelm Busch auf: «Bank(i)er werden ist nicht
schwer, Banquier sein dagegen sehr.» Die unterschiedlichen Schreibweisen
verdeutlichen die Aussage. Das Wort Banker gemahnt schnell an den Typus des
gewieften Verkäufers mit Karriereambitionen. Für ihn ist das Private Banking
eine «Industrie» unter vielen, Hauptsache, sie rentiert. Der Bankier
wiederum nimmt bereits eine andere Rolle ein, er ist eher kunden- denn
verkaufsorientiert. Der Banquier schliesslich, das ist der Berater alter
Schule mit einer grossen Familientradition und mit seinem persönlichen
Vermögen haftend. Doch die Grenzen verwischen sich, auch in dieser Beilage
werden die Begriffe teilweise als Synonyme verwendet. Einige Bankiers
denken, und das zeigen verschiedene Beiträge, wie Banquiers.
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Ob Banker, Bankier oder Banquier, eines ist ganz sicher: derzeit durchläuft
die Vermögensverwaltung für private und institutionelle Anleger goldene
Zeiten. Noch nie stand dem Private Banking, um einen weiteren Begriff
einzuführen, so viel Vermögen zur Verfügung wie heute: Bank(i)er werden ist
nicht schwer. Im ersten Bund dieser Beilage wird den Triebkräften dieser
Entwicklung nachgegangen. Herausgeschält wird die volkswirtschaftliche
Bedeutung dieses Sektors für die Schweiz. Die Stellung als weltweit grösster
Platz für grenzüberschreitende Vermögensverwaltung hängt in einem schwer zu
definierenden Umfang auch mit dem Bankkundengeheimnis zusammen. Verschiedene
Beiträge - zu denen auch Interviews mit Bundesrat Villiger und dem Genfer
Staatsanwalt Bertossa sowie ein Gespräch mit Kurt Hauri, dem Präsidenten der
Bankenaufsicht, gehören - gehen im zweiten Bund auf die damit
zusammenhängende Verantwortung ein. Der dritte Bund ist ganz Genf, der Wiege
der Vermögensverwaltung, und seinen Banquiers gewidmet, derweil im vierten
Bund vorab technische Herausforderungen beleuchtet werden. Ein fünfter Bund
beschäftigt sich mit dem Stellenmarkt.
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Der Begriff der Herausforderungen führt zum zweiten Teil des abgewandelten
Busch- Zitats, zu den Schwierigkeiten, Banquier zu bleiben. Der technische
Wandel ist enorm, der Personalbedarf hoch. Zugleich deutet einiges darauf
hin, dass sich die klassische Klientel vermögender Bankkunden verändert.
Haben also die stilvollen Besprechungszimmer mit ihren Gobelins ausgedient?
Die Meinungen darüber gehen, wie externe Autoren als auch die zahlreichen
Porträts über unbekanntere Privat- und Vermögensverwaltungsbanken
verdeutlichen, weit auseinander. Doch eines ist sicher, der Branche stehen
kaum ruhige Zeiten ins Haus. Die wachsende Zahl an Konkurrenten deutet
darauf hin, dass sich die Goldgräberstimmung ihrem Höhepunkt nähert. Mit dem
blossen Zusammenraffen vagabundierender Gelder ist es nicht mehr getan.
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Diese Feststellung muss keineswegs beunruhigen. Sie führt bloss dazu, dass
sich die Spreu vom Weizen trennen wird. Solange sich die Meister des Metiers
darauf besinnen, dass ihre Stärke in einer langfristig ausgerichteten
Beratung beim sorgfältig ausgewählten Kunden liegt, so lange haben sie auch
in einer schnellebigen Welt sehr gut Bestand. Doch zu den Kernkompetenzen
gehört mehr denn je auch die überzeugende Performance der verwalteten
Vermögen - und diese hat noch nicht überall Tradition.
bb./pra.
Neue Zürcher Zeitung, 16. Mai 2000