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Toni Schönfelder A lifetime of innovation



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Toni Schönfelder
A lifetime of innovation

31.12.1999 Autor: Gustav Seibt Die Erde wurde winzig, und die Zeit begann zu rennen. Abschied vom zwanzigsten Jahrhundert Das zwanzigste Jahrhundert hat kein Gesicht. Das neunzehnte besaß eines; schon bald nachdem es abgelaufen war, wurde es zum Ziel überlegenen Spotts: typisch neunzehntes Jahrhundert! Das sollte besagen: hoffnungslos überholt. Für überholt galt das Bürgerliche, die Mischung von Fortschrittsglauben und metaphysischem Pessimismus, von Schwerindustrie und Großer Oper der Suezkanal wurde mit der "Aida" eröffnet! , von wissenschaftlichem Positivismus und ästhetischem Historismus. Typisch neunzehntes Jahrhundert war es, wenn Herren in schwarzen Gehröcken ihren mit Krinolinen bekleideten Damen aus einem üppigen, barock dekorierten Salonwagen halfen, sie dann durch einen gotischen Bahnhof führten, um in der Weltausstellung im Glaspalast die neuesten Produkte von Krupp zu begutachten und sich abends bei "Pariser Leben" zu amüsieren; zwischen den Akten ein schweres Diner. Neunzehntes Jahrhundert: Das ist "Kommunistisches Manifest" und "Blumen des Bösen", Roman und Daguerrotypie, Napoleon und Bismarck, Imperialismus und Befreiung des Weibes, der Anarchismus und die Unfehlbarkeit des Papstes eine gewaltige, aber gehaltene Spannung. Worauf sollte man sich beziehen, wenn man in ein paar Jahren beginnen wollte, voller Herablassung vom zwanzigsten Jahrhundert zu sprechen? Auf das Centre Pompidou oder die Stalinallee? Auf die Zwölftonmusik oder die Beatles? Soll man die Mondlandung belächeln sinnloses Abenteuer! oder die Konzeptkunst alle Witze sind doch längst erzählt! , was ist beklemmender, der Massentourismus oder die Stadtrandsiedlung? Wovor soll man sich mehr gruseln, vor der albernen Oberfläche der das Jahrhundert überziehenden Spaßkultur oder vor dem massenmörderischen Fanatismus, der seine Politik beherrschte? Was ist unmenschlicher, die Planwirtschaft oder die Globalisierung? Oder soll man alles gleich schlimm finden? Dann müsste man ein Herkules der Zeitkritik sein, der den Kampf mit einer vielköpfigen Hydra wagt. Doch was bliebe als Gegenposition? Doch wohl nur die einsame Blockhütte des Una-Bombers, der vor einigen Jahren die technische Zivilisation mit seinen Attentaten ganz vergeblich herausforderte. Das zwanzigste Jahrhundert ist ein explodiertes, in Stücke gegangenes neunzehntes Jahrhundert. Überall zog es die Linien weiter, und diese Tendenz zur Übersteigerung, zur äußersten Konsequenz ist vielleicht der einzige durchgehende Zug des in wenigen Tagen zu Ende gehenden Säkulums. Der realistische Roman wurde zum Bewusstseinsroman, die moderne Lyrik zur Buchstabengrafik und zur Lautmalerei, die atonale Musik zum Geräusch, die Lichtmalerei zum Farbquadrat, die Bourgeoisie zum alles verschlingenden mittelständischen Kleinbürgertum, das bürgerliche Amüsement zur Massenkultur, die Fotografie zu Film und Fernsehen, die Lochkartenmaschine zum Computer, das Telefon zum Internet, die Atomtheorie zur Bombe, der Rassismus zum Holocaust. Doch die in alle Richtungen fliegenden Elemente lassen sich nicht mehr zusammenfügen, es sei denn man spulte den Film der Geschichte rückwärts. Die auseinander jagenden Teile haben sich so weit voneinander entfernt und sich in ihrer eigenen Logik so weit entwickelt, dass sie sich nicht mehr zu einem Bild anordnen lassen: Wir leben in der Epoche der ethnischen Säuberungen und der Ärzte ohne Grenzen, man kann am Nachmittag römische Historien von Durs Grünbein lesen und "Simpson" anschalten. Der Bankanstellte am Schalter ist ein unbekanntes Wesen: Vielleicht geht er abends in den Swinger-Club, vielleicht aber in den Bibelkreis, oder er ist keltischer Rassist. Am Morgen wird er sich jedenfalls wieder die Krawatte umbinden. Auf der Love Parade hüpfen Drogen-Junkies und CDU-Funktionäre zum gleichen monotonen Rhythmus, und die Polizei schießt mit Spritzpistolen. Das ist ebenso zwanzigstes Jahrhundert unvorstellbar in jeder anderen Epoche wie der Sadismus der SS in den Lagern. Wollte man all das auf Begriffe bringen, kämen nur Leerformeln heraus, etwa "Verlust der Mitte", "Zeitalter der Extreme", oder Abstraktionen wie "Dialektik der Aufklärung", "Antiquiertheit des Menschen", "Postmoderne" und so fort. Selbstverständlich wurden diese und viele andere Formeln allen Ernstes diskutiert und breitgetreten, gilt doch für dieses Jahrhundert: Alles Denkbare wird irgendwann auch real durchgeprobt. Wenn man doch so etwas wie eine Physiognomie des zwanzigsten Jahrhunderts versuchte, also einen durchgehenden Stil feststellen wollte, dann müsste man es mindestens zweiteilen: in den Schwarzweißfilm der ersten Hälfte, der von Soldaten und Industriearbeitern beherrscht war, von marschierenden Kolonnen und formierten Massen die Welt von Revolution und Faschismus, von Krieg und Lagern; und in den Farbfilm der zweiten Hälfte: Supermärkte und überfüllte Autobahnen, Gewusel an den Stränden, Open-air-Konzerte, Plattensiedlungen und das unentwegte Quäken des Fernsehens. Man denke nur an Deutschland: Die Revolutionäre der ersten Hälfte des Jahrhunderts waren Kieler Matrosen und SA-Kolonnen, an seinem Ende waren es bunt gekleidete Urlauber, die mit Kindern und Plastiktaschen eine Grenze stürmen. In beiden Hälften des Jahrhunderts aber ist, allen Toterklärungen zum Trotz, auch der grau gekleidete Bürger nie ganz verschwunden: Er stand mit Stehkragen und Zwicker neben dem Mann mit der Hakenkreuzbinde, und im Jahre 1999 gibt es nicht nur Raver in bunten Klamotten, sondern auch blasierte Dichter in Tweed. Was aber ist die Natur der Eruption, die sich im zwanzigsten Jahrhundert ereignet hat? Es ist immer noch dieselbe Explosion, die auch das neunzehnte antrieb und die in der Mitte des achtzehnten gezündet wurde: die industrielle Revolution. Das Industriesystem hat sich weiter mit reißender Gewalt entfaltet und alle überkommenen Lebensformen in seinen Strudel gerissen. Es hat in den dynamischen Teilen der Weltgesellschaft die weitaus überwiegende Mehrheit der Menschen in seinen Dienst genommen, als Produzenten und als Abnehmer der Produkte, für die sich selbst antreibende Maschine der Massenkonsumgesellschaft. Die pantagruelische Fülle auf der sichtbaren Oberfläche des zwanzigsten Jahrhunderts täuscht. Diese Fülle ist nur der äußerliche Ausdruck einer grundlegenden Tendenz: der Tendenz zu Vermehrung und Beschleunigung des Stoffwechsels zwischen den menschlichen Gesellschaften und der Natur. Man muss es so abstrakt ausdrücken, denn nur die allgemeinste Formulierung erfasst alle Dimensionen des Prozesses: die industrielle, durch Technik und Wissenschaft vorangetriebene Wirtschaftsweise, die radikale Veränderung der Erdoberfläche, die Metamorphose von Mentalitäten und Lebensweisen in der Gesellschaft. Die Wirkung dieses umfassenden Weltprozesses kann mit grundlegenden Begriffen der Physik auf eine Formel gebracht werden: Die Zeit besiegt den Raum, Schwerkraft wird überwunden von Geschwindigkeit, der Erdball wird winzig und die Uhren rennen immer schneller. Es begann mit dem Einsatz fossiler Energiequellen, der Kohle, an Stelle der solaren wie Holz und Wasserkraft. Kohle trieb die Maschinen in den Fabriken an, mit Kohle konnte Eisen verhüttet werden, Kohle war der Brennstoff von Eisenbahnen und Dampfschiffen. Alle großen Erfindungen seit dem späten neunzehnten Jahrhundert dienten dann der Beschleunigung und der realen oder kommunikativen Überwindung des Raumes: das Automobil und das Flugzeug, ebenso wie Telefon, Radio, Film, Fernsehen und vernetzter Computer. Sie alle haben demselben Ziel zugearbeitet: die Natur zu ersetzen durch eine künstliche Zivilisationswelt, in der alles entweder Nutzfläche oder Erholungsgebiet, Wirtschaftsland oder Siedlungsraum und Ziergarten wird. Erschlossen wird diese bald vollkommen künstliche menschliche Innenwelt durch ein immer dichter werdendes Netz von Schienen, von glatten asphaltierten Verkehrswegen und von den Versorgungsleitungen für Wasser, Wärme und Strom. Menschliche Siedlungen, die sich in vorindustriellen Zeiten inmitten einer feindlichen Natur ängstlich und Energie sparend zusammenkauerten, dehnen sich nun ungebremst aus: Man wohnt und schläft woanders als wo man arbeitet oder einkauft, sich amüsiert oder Urlaub macht. Zwischen den oft mehrmals täglich wechselnden Orten ihres Daseins flitzen die Menschen in metallenen Behältern, in Autos, Schnellbahnen und Flugzeugen. Die bleidampfende Blechwelle eines millionenfachen Verkehrs, die Tag für Tag durch die industrialisierten Kontinente geht, ist die sichtbarste Gestalt jener Herrschaft der Zeit über den Raum. Inzwischen wurde die Kohle ersetzt vom Erdöl, und zwar exakt in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, als das Industriesystem im Nachkriegsboom den Gang noch einmal höher schaltete und neue Fahrt gewann. Die heutige Gestalt der Erdoberfläche ist über weiteste Strecken das Resultat dieser letzten fünfzig Jahre: Um 1950 waren die Küsten des Mittelmeers noch fast völlig unbebaut, heute zieht sich um sein westliches Becken ein ununterbrochener Gürtel aus Beton. Vor einem halben Jahrhundert waren Stadt und Land noch viel deutlicher geschieden als heute, da die dichten Städte auslaufen in lockere Siedlungsgebiete mit überall gleichförmiger Bauweise, die Städte nicht mehr voll und das Land nicht mehr leer ist, sondern beides halb voll. All das ist nur möglich durch die Verbreitung des Erdöl fressenden Automobils als Massenprodukt (die Automobilindustrie und ihre Zulieferer waren jahrzehntelang die wichtigste arbeitgebende Branche). Erdöl bringt die Früchte aus aller Herren Länder in unsere Supermärkte, aus Erdöl sind die meisten Verpackungen. Erdöl beleuchtet unsere Straßen, erhellt und beheizt unsere Häuser. Unsere Konsumwirtschaft verbrennt in einem gewaltigen Feuer, das nachts bis ins Weltall leuchtet, die über Hunderttausende von Jahren angesammelten Ressourcen der Erde. Alles in diesem Jahrhundert verstärkte diesen Prozess: die Kriege, denn sie vermehrten mit ihren technischen Erfindungen die Produktivität, der Frieden, denn er schuf die Voraussetzungen für den Massenkonsum. Am Ende dienten auch alle Befreiungen des Jahrhunderts diesem einen materiellen Zweck: die Befreiung der Frauen nicht minder als die fast endlos verlängerte, von den Zwängen der Autorität freigestellte Jugend. Die Emanzipationen lösten die Individuen aus dysfunktionalen naturhaften Zusammenhängen, aus Familien und Überlieferungen, um sie zu vereinzeln, fungibel verschiebbar zu machen, einzupassen in die immer größere und immer feiner organisierte Maschinerie. Die aufeinander folgenden Wellen der Jugendbewegungen, vom Wandervogel bis zu den Hippies und den Ravern, haben allesamt an dem gleichen arbeitswütigen und lustbetonten, weltanschaulich abgekühlten, sich selbst verwirklichenden Menschentypus gearbeitet, der als Arbeiter, Angestellter und ansprechbarer Konsument am besten in die Verbrauchswirtschaft passte. Der einzelne Internetuser an seinem vernetzten PC ist die vorläufig letzte Gestalt des Menschen im zwanzigsten Jahrhundert: allein und grenzenlos vernetzt, Bürger eines raumzeitlichen Kontinuums aus Kommunikation und Fantansie, mit wechselnden Identitäten, körperlos und alterslos also jung , in alle Richtungen Signale aussendend, in der Schwebe zwischen Arbeit und Spaß. Der Sozialtypus, der in dieser Welt herrschend wird, ist weder Bürger noch Proletarier, sondern etwas dazwischen, das auch mit dem Begriff des Kleinbürgers nur dann richtig bezeichnet ist, wenn man damit nichts direkt Spießiges mehr assoziiert, sondern eher die wählerische Coolness des Kunden, des Ironikers im Bombardement der Reklame. Die vielbeschworene Auflösung gesellschaftlicher Klassen zu Gunsten funktionaler Systemdifferenzierung ist nur das soziologische Siegel unter diesem Vorgang von Herauslösung, Vereinzelung und Mobilisierung der Menschen, die zu fluktuierenden Elementen ineinander greifender Strukturen wurden. Und das "kurze zwanzigste Jahrhundert"? Das geschichtsphilosophische Drama, das zwischen Sankt Petersburg 1917 und Berlin 1989 verläuft? Der so genannte Weltbürgerkrieg um liberales System, Kommunismus und Faschismus bis 1945, der zum vierzigjährigen kalten Stellungskrieg um Freiheit und Gleichheit wurde? Heiner Müller nannte den Kommunismus ein Sommergewitter im Schatten der Weltbank. Angesichts der Gewalt und Eindeutigkeit des ökonomisch-ökologischen Prozesses wirkt diese Einschätzung kaum übertrieben. Die sozialen Spannungen und die politischen Leidenschaften haben im zwanzigsten Jahrhundert noch einmal gewaltige Energien freigesetzt. Doch der Versuch, die ökonomisch-technische Dynamik auf die Mühlen einer politischen Utopie von menschlicher Selbstbestimmung zu lenken, ist grandios gescheitert. Er hat zu neuer Sklaverei und lange nachwirkenden Verwüstungen in der Gesellschaft und der Umwelt geführt. Man muss dabei in aller Kühle festhalten, dass auch der Kommunismus an der vollständigen Unterwerfung der Natur unter die Industriewirtschaft arbeitete. Solange die Planwirtschaft überhaupt Ergebnisse brachte, diente sie der gewaltsamen Erschließung zurückgebliebener Gebiete für die modernen Produktionsweisen; als sie auf ihre unflexible und ineffiziente Weise der Wohlstandsgesellschaft nacheiferte, verlor sie das Rennen und ging sang- und klanglos unter. Die Eckdaten des "Weltbürgerkriegs", die Revolution von 1917, der Marsch auf Rom 1922 und die Machtergreifung 1933 sind eher zufällige Ereignisgeschichte, Schaum der Oberfläche verglichen mit der sozialökonomischen Grundtendenz der deutsche Generalstab hätte Lenin nicht nach Petrograd einschleusen müssen, der italienische König hätte Mussolini ebenso mühelos abwehren können wie der deutsche Reichspräsident den schon wieder im Abstieg begriffenen Hitler. Und die Ideologien, die im Sowjetsystem und im Dritten Reich realisiert wurden, sind nichts als trüber Bodensatz des neunzehnten Jahrhunderts: auf der einen Seite ein immer schematischer werdender Marxismus, der sich mit den Traditionen des russischen Terrorismus und dem Panslawismus verband, in dessen Namen noch heute im Kosovo und in Tschetschenien gemordet wird; auf der anderen ein pseudowissenschaftlicher Rassendarwinismus, der in eine biologische Reinigungsfantasie mündete. Zeitgenössisch waren schon in der ersten Jahrhunderthälfte weniger diese Ideen als die Konsequenz ihrer Umsetzung, auch der traditionsfeindliche Kollektivismus von Proletariat und Volksgemeinschaft, der ihnen zugrunde lag. Er bereitete die Massenkonsumgesellschaft der zweiten Jahrhunderthälfte vor, in der der Individualismus zurückkehrte in der Gestalt des Konsumenten, der sich aus der Angebotsfülle sein individuelles Set zusammenstellt, in der gern beschworenen Bohemisierung der Massen durch die Kulturindustrie, die sich zu einem riesigen Wirtschaftszweig entwickelte. Der Schwarzweißfilm der ersten Jahrhunderthälfte zeigt gewiss ein gänzlich anderes Bild als der Farbfilm danach; doch gemeinsam ist ihnen die Riesenzahl der Akteure. Fragt man sich, was die soziale Basis der großen politischen Katastrophen der ersten Jahrhunderthälfte war, so kommt man auf eine Figur, die erst in der industriellen Welt entstehen konnte: Es ist der Entlassene, der Stellen- und Arbeitslose. Es waren demobilisierte Soldaten und Arbeitslose, die die Truppen der russischen Revolution und des Bürgerkriegs stellten, demobolisierte Soldaten, die den italienischen Faschismus formierten, und Arbeitslose, die in den Straßenkämpfen der Weimarer Republik aufeinander losgingen und den Nationalsozialisten und Kommunisten ihre Stimmen gaben. Entgegen manchen herkömmlichen Revolutionstheorien sind die politischen Umwälzungen des Jahrhunderts weitgehend vom wirtschaftlich funktionslosen Treibsand der Gesellschaft getragen worden. Denn erst das Industriesystem setzt in so großer Zahl Menschen frei, die vorübergehend oder auf Dauer nicht gebraucht werden, die sich und ihre Familien nicht mehr selbst versorgen können, mit allen Demütigungen, Ängsten und Versagergefühlen bis zu Frustration und Hass, die sich daran knüpfen. Sie vor allem waren ansprechbar von den Erlösungsversprechen der politischen Religionen der Epoche. Und die Hölle des zwanzigsten Jahrhunderts, das Arbeits- und Vernichtungslager, radikalisierte die Funktionsweisen der neuzeitlichen Institutionen von Armee, Gefängnis und Fabrik. Hier regierten Gleichheit, Unpersönlichkeit, Abstraktion und Disziplin. Gegenüber diesen sozialen Zusammenhängen wirken die Ideologien zufällig und willkürlich. Die bleibende Erfahrung, die das politisch-ideologische Drama des zwanzigsten Jahrhunderts zurückließ, war nicht nur der zerstörte Traum der Utopie, sondern mehr noch die bewiesene Möglichkeit von schrankenloser Bestialität. Adolf Hitler war nicht einfach ein Unmensch, er war einer von uns, der Bruder Hitler. Auf allen Gebieten erreichte das zwanzigste Jahrhundert das Elementare: in der Politik durch das Übermaß an physischer Gewalt, in den Künsten durchs Zurückgehen auf die Materialien und die Infragestellung des Begriffs von Kunst, und in den Wissenschaften durch die Erforschung der Bausteine von Materie und Leben. Wissenschaft und Forschung sind neben dem entfesselten Gewinnstreben der Märkte zum eigentlichen Motor der Wirtschaft geworden. Heute arbeitet ein Millionenheer von Forschern der Wirtschaft zu, während es zu Beginn des Jahrhunderts in den höchstindustrialisierten Nationen wie England und Deutschland jeweils nur ein paar Tausend waren. Der Erfinder selbst wurde industrialisiert, und die immer rascher aufeinander folgenden Produktgenerationen heizen den Umsatz weiter an. Zugleich vermehrten sich die menschlichen Machtmittel gegenüber der Natur in schwindelerregender Weise. Die Atombombe eröffnete die Möglichkeit eines Selbstmords des Lebens auf diesem Planeten; und die Genetik verspricht, bald die Evolution in menschliche Regie zu nehmen, also die Zeit der Naturgeschichte der historischen Zeit unterzuordnen. Was die Atomphysik und die Molekularbiologie in die Welt setzen, droht Fakten für viele Generationen zu schaffen, in Form jahrtausendelang zu bewachenden Mülls und neuer, nicht mehr zu beherrschender Lebewesen, vor allem von Krankheitserregern. Der kurzfristige evolutionäre Vorteil, den die Wissenschaft dem Gattungswesen Mensch verschafft hat, zeigt sich im beispiellosen Bevölkerungswachstum, das dieses Jahrhundert gebracht hat. In seinem letzten Drittel überstieg die Zahl der Lebenden erstmals die Zahl aller bis dahin gestorbenen Menschen. 1926 lebten zwei Milliarden Menschen auf der Erde, 1999 wurde die sechste Milliarde überschritten, und man rechnet damit, dass die Weltbevölkerung erst gegen 2150 bei etwa elf Milliarden in einen stationären Zustand übergehen wird. Wohlstand und medizinischer Fortschritt sind die Quellen dieses Wachstums, Wohlstand senkt es auf die Dauer auch wieder, doch so lange die erst spät in die Weltökonomie hineingezwungenen Entwicklungsländer diesen Wohlstand nicht haben, können nur Zwangsmittel oder medizinische Katastrophen das Wachstum bremsen. Auf Dauer könnte das Bevölkerungswachstum im Verein mit dem angewachsenen Naturverbrauch pro Kopf der Menschheit aber ihre Lebensgrundlage entziehen. Der hohe Verbrauch der Industrieländer ist ohnehin nur um den Preis der Zerstörung von Umwelt und Atmosphäre auf den Rest der Welt auszudehnen; schon das derzeitige Konsumniveau in den ökonomischen Zentren der Welt lässt sich auf Dauer nicht halten. Seit Mitte der Siebziger verflog der Nachkriegsoptimismus in der westlichen Welt: Der Mondflug hatte die Erde als kleine, begrenzte Gartenwelt im All gezeigt, und die erste Ölkrise die Abhängigkeit von einem einzigen Energieträger bewusst gemacht. Seither lässt sich das Gefühl von Endlichkeit nicht mehr unterdrücken. Es steht im Hintergrund des historisch beispiellos erleichterten Daseins, das die industrialisierten Gesellschaften immer noch führen. Nie gab es so viele Freiheiten und so viel Müßiggang, um sie auszuleben. Die Demokratie mit ihren Individualrechten hat sich als wirtschaftsfreundlichste Staatsform immer weiter verbreitet. Wer nach dem Zweiten Weltkrieg in Amerika oder Westeuropa lebte, konnte jahrzehntelang eine einzigartige Sorgenfreiheit genießen. Die Warenwelt, die dieses Dasein überzog, gab ihm die Züge von ewiger Jugend, ewiger Gegenwart, unentwegter Heiterkeit; sie stehen in krassem Kontrast zu den niederdrückenden, periodisch wiederkehrenden Erinnerungen an das Unglück in der ersten Jahrhunderthälfte. Trauer und Spaß in den unwahrscheinlichsten Legierungen, das sind die Elemente des bizarren Daseinsklimas, das unsere Kultur beherrscht. Die Ahnung, in einer Ausnahmeepoche zu leben, hat die Menschen immer unabweisbarer bedrückt, es hat sie aber auch an sich selber irre werden lassen. Am Ende hat sich das zwanzigste Jahrhundert nur noch selber angestarrt, ungläubig zurückgeblickt auf das Vorgefallene und dabei zuweilen auch verkannt, wie viel es mit den vorangehenden Jahrhunderten verband. Erinnern wir uns an den Herrn im Gehrock und die Dame in der Krinoline, die aus der Eisenbahn steigen. Sie haben in einer anderen Welt gelebt als wir. Trotzdem würden wir die Zeitung des Herren und den Roman der Dame auf Anhieb verstehen, ja noch an den selben Stellen lächeln. Nicht alles konnte in diesem Jahrhundert untergepflügt werden. Wenn man nach einer Obsession sucht, die typisch zwanzigstes Jahrhundert ist, dann ist es diese: unvergleichlich zu sein. Die Zukunftsbegriffe allerdings wirken grau und verbraucht. Wenn vom Ende der Geschichte oder von der Globalisierung die Rede ist, heißt das nur, dass der laufende Weltprozess immer noch ungebremst weitergeht. Die Epoche starrt zurück, weil sich die Zukunft ohnehin nicht aufhalten lässt. Sie kommt von selbst, die Explosion geht weiter, bis sie ihre natürlichen Grenzen erreicht haben wird. Dann wird auch die Demokratie ihre schwerste Belastungsprobe erleben, setzt sie doch elementares Wohlergehen voraus. Das kommende Jahrhundert wird wieder einmal das gefährlichste in der bisherigen Geschichte der Gattung Mensch werden. "Der Kommunismus war ein Sommergewitter im Schatten der Weltbank. " Heiner Müller // Das 20. Jahrhundert ist ein explodiertes 19. Jahrhundert. Überall zog es die Linien weiter.

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